Gesetze sind schlichtweg unlesbar
Willy Hillek über den ständig wachsenden Berg von Gesetzesblättern ( Vorarlberger Nachrichten vom 14.05.1997 )
Unwissenheit schützt nicht vor Strafe. Die Auswirkungen dieses Rechtsgrundsatzes können täglich jedem Österreicher auf den Kopf fallen. Es gibt keinen Richter, keinen
Staatsanwalt, keinen Rechtsanwalt, der in der Lage wäre, die jährliche
Gesetzesflut in Österreich zu lesen, geschweige denn, geistig zu bewältigen.
Der größte Teil der
Gesetze und Verordnungen ist schlichtweg unlesbar, weil unverständlich bis
idiotisch verfaßt, in einem Deutsch, das kein Deutsch ist, und zielt an den
wirklichen Bedürfnissen der Bürger vorbei. Es drängt sich sehr stark der
Verdacht auf, daß der Großteil der Gesetze als Alibi für die
Existenzberechtigung der Zentral- und Ministerialbürokratie herhalten muß. Einer
Bürokratie, welche unserem Staat Jahr für Jahr unnotwendigerweise -zig
Milliarden kostet.
Wenn Sie glauben,
Ihren Rasenmäher bisher korrekt bedient zu haben, dann unterliegen Sie einem
gewaltigen Irrtum: Sie haben garantiert nicht das 40 Seiten starke Bundesgesetzblatt
Verordnung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten
betreffend die Sicherheit des Betriebs von Rasenmähern“ gelesen. Hätten
Sie diese Verordnung studiert, Sie würden sicherlich keinen Rasenmäher mehr in
Betrieb nehmen.
Legistischer Dünnpfiff
Oder meinen Sie beispielsweise wirklich, Sie sitzen korrekt vor Ihrem Bildschirm? Sollten Sie dieser Ansicht sein, dann haben Sie die vollkommen unlesbare zwölfseitige
Verordnung über den Schutz der Arbeitnehmer bei Bildschirmarbeit“ nicht
intus. Wer diesen legistischen Dünnpuff jemals las, der glaubt unter Garantie
nicht mehr, jemals in seinem Leben korrekt vor dem Bildschirm zu sitzen.
Kostprobe gefällig? § 6. (1)
Bei locker herabhängenden Oberarmen sollen sich die Unterarme in Arbeitshaltung annähernd in der Horizontalen befinden. Bei etwa horizontal verlaufenden Oberschenkeln,
die mit dem Rumpf einen Winkel von ungefähr 90 Grad einschließen, und
ganzflächig auf dem Fußboden aufgestellten Füßen soll der Winkel zwischen den
Ober- und Unterschenkeln mindestens 90 Grad betragen. Dabei soll die Tiefe der
Sitzfläche voll ausgenutzt werden und der untere sowie mittlere Teil der
Wirbelsäule durch den Lendenbausch und den darüberliegenden Teil der
Rückenlehne des Arbeitsstuhls wirksam abgestützt sein.“ Na, ist jetzt
alles klar? Nicht genug damit. Natürlich enthält die Verordnung noch eine Reihe
von Detailbestimmungen. Etwa darüber, wie die Fußstützen zu gestalten sind,
wobei die Füße bei leicht geöffneten Beinen ganzfläehig auf den Fußstützen
aufgestellt werden können müssen und die Sitzposition nach § 6, Abs. 1 mit der
Maßgabe eingenommen werden kann, daß der Winkel zwischen Unterschenkeln und
Füßen etwa 90 Grad beträgt“.
Die Reihe der Dummheiten ließe sich beliebig lange fortsetzen, wobei allein die Verordnung über die korrekte Krümmung bei Bananen für affenhaften Spaß sorgt.
Juristenkauderwelsch
Um den Bürger geht es bei allen Gesetzen und Verordnungen am allerwenigsten. Dieser ist ja gar nicht in der Lage, derartig verballhorntes Juristenkauderwelsch zu verstehen. Der Bürger versteht nur eines ganz genau: Daß nämlich derart gesetzgeberische Auswüchse jede Menge Bürokratie und unnötige Geldausgaben bedeuten.
Politiker stehen dem ohnmächtig gegenüber
Unser Leben im Staate besteht aus vielen vielfach sinnlosen Regulierungen der meisten Bereiche. Die Politiker ihrerseits stehen diesem Phänomen ohnmächtig gegenüber.
Sie haben in der Frage der Kontrolle der Verwaltungsapparate längst abgedankt. Zum großen Teil rekrutieren sich die Politiker ja selbst aus der Bürokratie, sie haben die
Denkungsweise der Bürokratie mit der Muttermilch eingesogen und wollen zumeist
nicht als Nestbeschmutzer in Erscheinung treten. Wer weiß schließlich, ob er
nicht eines Tages zurück muß zu seinen Kollegen in der Bürokratie? Dabei merken
die meisten Politiker gar nicht, wie sehr sie selbst als Spielball der
Bürokratie agieren.
Das kleine Österreich produziert im Jahr über 6000 Seiten Bundesgesetzblätter im Großformat. Der Schweiz genügen jährlich 2000 Seiten Gesetzesblätter im
Kleinformat. Glaubt wirklich jemand, die Schweiz würde um so vieles schlechter
verwaltet, nur weil es mit einem Bruchteil der österreichischen Gesetzesflut
auskommt?