Neue Haftungen für Vorstände und Geschäftsführer
durch das URG (Unternehmensreorganisationsgesetz)
Betroffener Personenkreis, Voraussetzungen, Haftungsumfang
Von Dr. Edgar Schüssler*)
Das Unternehmensreorganisationsgesetz (URG), BGBl. I 114/1997, in Kraft seit
1. 10. 1997, sieht für Vorstände und Geschäftsführer neue Haftungstatbestände
vor.1) Ziel dieses Aufsatzes ist es, auf die Haftungen
der Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder usw. von juristischen Personen bzw.
haftungsbeschränkten Personengesellschaften des Handelsrechtes besonders hinzuweisen,
weil in der Praxis immer wieder festgestellt werden kann, dass z. B. Geschäftsführer
von Gesellschaften diese Haftungsbestimmungen nicht ernstlich zur Kenntnis nehmen.
I. Personenkreis, der von der Haftung berührt wird
Betroffen sind Mitglieder des vertretungsbefugten Organes prüfungspflichtiger
juristischer Personen (GmbH & Co KG), die ein Unternehmen betreiben, wie
z. B. Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder, persönlich haftende Gesellschafter
einer OHG, die die genannte Gesellschaft vertreten.
Dies gilt auch für Personengesellschaften des Handelsrechtes, bei denen kein
persönlich haftender Gesellschafter mit Vertretungsbefugnis eine natürliche
Person ist. Es haften die Mitglieder des vertretungsbefugten Organes des persönlich
haftenden Gesellschafters mit Vertretungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 und 2), weiters
der Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung, wie noch später dargestellt
wird.
II. Voraussetzungen der Haftung
Es haften die Mitglieder des vertretungsbefugten Organes gegenüber der juristischen
Person zur ungeteilten Hand, jedoch pro Person nur bis zu 1,000.000 S, für die
durch die Konkursmasse nicht gedeckten Verbindlichkeiten, wenn sie innerhalb
der letzten zwei Jahre vor dem Konkurs oder Ausgleichsantrag
- einen Bericht des Abschlussprüfers erhalten haben, wonach die Eigenmittelquote
(§ 23) weniger als 8% und die fiktive Schuldentilgungsdauer (§ 24) mehr als
15 Jahre beträgt (Vermutung des Reorganisationsbedarfs), und nicht - unverzüglich ein Reorganisationsverfahren beantragt oder nicht gehörig
fortgesetzt haben oder - einen Jahresabschluss nicht oder nicht rechtzeitig aufgestellt
- oder nicht unverzüglich den Abschlussprüfer mit dessen Prüfung beauftragt
haben.
Diese Haftung besteht bei einem Gesamtvertretungsorgan nur für jene Mitglieder,
die die Einleitung eines Reorganisationsverfahrens abgelehnt haben (§ 22 Abs.
3).
Sonstige Schadenersatzansprüche nach anderen Gesetzen bleiben unberührt (§
22 Abs. 4).
Aufsichtsratsmitglieder und die Gesellschafterversammlung haften nach § 25
URG nur dann, wenn das vertretungsbefugte Organ die Einleitung des Reorganisationsverfahrens
vorgeschlagen, aber nicht die dafür notwendige Zustimmung vom Aufsichtsrat bzw.
der Gesellschafterversammlung erhalten hat, oder wenn dem Organ die Weisung
erteilt wurde, das Verfahren nicht einzuleiten. In diesem Fall haftet das vertretungsbefugte
Organ nicht, sondern die genannten Mitglieder des Organes (Aufsichtsrat oder
Gesellschafterversammlung), die gegen die Einleitung gestimmt oder die Weisung
erteilt haben, zur ungeteilten Hand nach § 2 Abs. 1 URG in dem sich aus dieser
Bestimmung ergebenden Gesamtumfang, jedoch pro Person nur bis zu 1,000.000 S.
Was ist die Eigenmittelquote (§ 23 URG)?
Die Eigenmittelquote wird folgendermaßen berechnet:
Prozentsatz aus dem Verhältnis Eigenkapital (§ 224 Abs. 3 A HGB) plus unversteuerte
Rücklagen (§ 224 Abs. 3 B HGB), einerseits, sowie den Posten des Gesamtkapitals
(§ 224 Abs. 3 HGB) minus um die nach § 225 Abs. 6 HGB von den Vorräten absetzbaren
Anzahlungen.
Was ist die fiktive Schuldentilgungsdauer (§ 24 URG)?
Diese wird laut nachstehender Formel berechnet:
- Rückstellungen (§ 224 Abs. 3 C HGB)
- plus Verbindlichkeiten (§ 224 Abs. 3 D HGB)
- minus die im Unternehmen verfügbaren Aktiva (§ 224 Abs. 2 B III Z 2 und
B IV HGB) - minus von Vorräten absetzbare Anzahlungen (§ 225 Abs. 6 HGB)
- dividiert durch den Mittelüberschuß aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit
Wie wird der Mittelüberschuss aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit
(Cash flow) ermittelt?
- Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit
- minus auf die gewöhnliche Geschäftstätigkeit entfallende Steuern vom Einkommen
- plus Abschreibungen auf das Anlagevermögen
- plus Verluste aus dem Abgang von Anlagevermögen
- minus Zuschreibung zum Anlagevermögen
- minus Gewinne aus dem Abgang von Anlagevermögen
- plus oder minus Veränderungen der langfristigen Rückstellungen
III. Umfang der Haftung
a) Für die durch die Konkursmasse nicht gedeckten Verbindlichkeiten bis 1,000.000
S je Person,
b) zur ungeteilten Hand,
c) bei einem Gesamtvertretungsorgan nur jene Mitglieder, die die Einleitung
eines Reorganisationsverfahrens ablehnen.
IV. Wann entsteht keine Haftung § 26 ff. URG?
a) Wenn die Mitglieder des vertretungsbefugten Organes unverzüglich nach Erhalt
des Berichtes des Abschlussprüfers über das Vorliegen der Voraussetzungen für
die Vermutung eines Reorganisationsbedarfes (§ 22 Abs. 1 Z 1) ein Gutachten
eines Wirtschaftstreuhänders, der zur Prüfung des Jahresabschlusses der juristischen
Person befugt ist, eingeholt haben und dieser einen Reorganisationsbedarf verneint
hat;
b) wenn innerhalb der Zweijahresfrist des § 22 Abs. 1 der mit der Prüfung eines
weiteren Jahresabschlusses beauftragte Abschlussprüfer keinen weiteren Bericht
über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vermutung eines Reorganisationsbedarfes
erstattet;
c) wenn bewiesen wird, dass die Insolvenz aus anderen Gründen als wegen Unterlassung
der Reorganisation eingetreten ist;
d) wenn das vertretungsbefugte Organ nicht die notwendige Zustimmung des Aufsichtsrates
bzw. der Gesellschafterversammlung erhalten (siehe oben) oder die Weisung erhalten
hat, kein Reorganisationsverfahren einzuleiten.
V. Wer macht die Haftung geltend?
Ansprüche nach §§ 22 und 25 können nur vom Masseverwalter für die Konkursmasse
geltend gemacht werden (§ 28 Abs. 1 URG). Es gibt auch keinen Verzicht auf Haftung,
die juristische Person kann auf den Anspruch nicht verzichten. Gegen den Anspruch
kann nicht mit Forderungen an die juristische Person aufgerechnet werden. Hier
handelt es sich um zwingendes Recht.
VI. Zum Gutachten des Wirtschaftstreuhänders
Im Sinne des § 26 Abs. 2 (Nichteintritt der Haftung) ist folgendes zu sagen:
Das Gutachten hat insbesondere festzuhalten,
- ob die Fortbestandsprognose positiv ist,
- ob der Bestand des Unternehmens gefährdet ist,
- aufgrund welcher Umstände trotz Vorliegens der Kennzahlen nach § 22 Abs.
1 Z 1 kein Reorganisationsbedarf besteht, - ob stille Reserven vorhanden sind,
- ob gesellschaftsrechtliche Beschlüsse, wie über eine Kapitalerhöhung, gefaßt
worden sind oder ein Verlustabdeckungsvertrag abgeschlossen worden ist.
VII. Kosten des Reorganisationsprüfers
Der Reorganisationsprüfer hat gegenüber dem Unternehmer Anspruch auf Ersatz
seiner Auslagen und auf Entlohnung seiner Mühewaltung (§ 15 URG). Er hat diese
Ansprüche mit der Vorlage des Gutachtens (§ 10 Abs. 3 URG) und, wenn er die
Durchführung des Reorganisationsplanes macht, für diese Tätigkeit nach jeweils
drei Monaten beim Gericht anzumelden.
Nimmt der Reorganisationsprüfer wahr, dass seine Ansprüche die Höhe des erlegten
Kostenvorschusses voraussichtlich erheblich übersteigen werden, so hat er das
Gericht unverzüglich darauf hinzuweisen. Das Gericht hat hierauf dem Unternehmen
den ergänzenden Erlag eines Kostenvorschusses aufzutragen.
Das Gericht hat über die Ansprüche des Reorganisationsprüfers nach Anhörung
des Unternehmers zu entscheiden. Soweit diese Ansprüche nicht durch den Kostenvorschuss
gedeckt sind, hat das Gericht durch einen vollstreckbaren Beschluss dem Unternehmer
die Zahlung an den Reorganisationsprüfer aufzutragen.
Vereinbarungen des Reorganisationsprüfers mit dem Unternehmer oder den in den
Reorganisationsplan einbezogenen Personen über die Höhe der Ansprüche sind ungültig.
Eine Verminderung der Ansprüche des Reorganisationsprüfers ist nur dann gegeben,
wenn das Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt wird oder so mangelhaft abgefasst
ist, dass eine Ergänzung erforderlich ist, oder er das Gericht nicht rechtzeitig
darauf hingewiesen hat, dass der Kostenvorschuss für die Kosten nicht ausreicht.
VIII. Gerichtsgebühren
Pauschalgebühr: 5% der Entlohnung des Reorganisationsprüfers, mindestens 3.310
S nach Tarifpost 6 c GGG.
Abschließend: Achtung auf Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Konkurskostenvorschuss,
IRÄG 1997 – Änderung in der Konkursordnung, wonach die organschaftlichen Vertreter
einer juristischen Person (Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer usw.) zur Leistung
eines Kostenvorschusses für die Anlaufkosten des Konkurses der betreffenden
Aktiengesellschaft bzw. GmbH verpflichtet sind, höchstens jedoch bis zum Betrag
von 50.000 S. Zur Leistung dieses Kostenvorschusses sind auch sämtliche Personen,
die innerhalb der letzten drei Monate vor der Einbringung des Antrages auf Konkurseröffnung
organschaftliche Vertreter des Schuldners waren, solidarisch verpflichtet, nicht
jedoch Notgeschäftsführer.
Hier handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung. Dieser Kostenvorschuss
kann nur als Masseforderung geltend gemacht werden (§ 72 c KO). Es muß darauf
hingewiesen werden, dass durch diese Bestimmung auch z. B. Geschäftsführer,
die kurz vor der Konkurseröffnung abberufen werden, noch drei Monate vor der
Einbringung des Antrages auf Konkurseröffnung solidarisch zur Bezahlung von
50.000 S herangezogen werden können. Das betrifft allerdings nicht den Notgeschäftsführer
nach § 79 a KO.
*) Dr. Edgar Schüssler ist Notar in Eisenstadt.
1) Siehe auch Reich-Rohrwig, Das Unternehmensreorganisationsgesetz,
SWK-Heft 23/24/1997, Seite W 103 f.; derselbe, URG: Kennzahlen für die
Vermutung des Reorganisationsbedarfs, SWK-Heft 26/1997, Seite W 125; derselbe,
URG: Kundmachungsfehler korrigiert, SWK-Heft 28/1997, Seite T 119; Reich-Rohrwig/Zehetner,
Das neue Insolvenzrecht (1997), 331 ff.